WIRES & LIGHTS
“A Chasm Here and Now”
(Oblivion/SPV)
Wenn man mühselig nach geeigneten Referenzen und passenden Beschreibungen sucht, um die unvermittelte Begeisterung über eine neue Platte irgendwie kanalisierend einzuordnen, kann einen das zur Verzweiflung bringen. Spätestens wenn man dabei auch noch in der grosso modo richtigen Schublade danach wühlt (Post-Punk, kennst du? Melodie, Substanz, Rock-Besetzung und so), und trotzdem hoffnungslos daran scheitert, dann gilt: egal, das Ding zunächst unbedingt fest umklammern und nicht mehr loslassen! „A Chasm Here and Now“ ist das lang erwartete Debut-Album von Justin Stephens‘ (ex-Passion Play) aktueller Band WIRES & LIGHTS, auf dem das Berliner Quartett alles in überlegener Qualität einlöst, was es bereits auf Konzerten und auf der längst vergriffenen Pagan Love Songs Vol. 3-Compilation 2014 mit einer frühen Version von „Swimming“ ankündigte.
Schon der fulminante Opener „Drive“ lässt an mitreissender, hymnischer Tanzbarkeit keine Wünsche offen; „turn up your drive / ‘til you’re racing ahead of the noise of life” ist Programm! Ein grandios geupdatetes „Swimming“ setzt das dringliche Treiben unkonventionell fort, bevor mit „Anyone“ eine der ergreifendsten ausladenden Midtempo-Balladen der letzten Jahre einen Gang zurückschraubt. Und das war erst der Anfang.
Immer, wenn man denkt, man habe die Band nun langsam musikalisch erfasst, belehrt sie einen bereits mit dem nächsten Stück eines Besseren. Jenseits aller Vorhersehbarkeit und trotzdem innerhalb eines zwar breiten, aber dennoch überschaubaren ästhetischen Korridors zeigen Justin Stephens und seine Mitstreiter Ralf Hünefeld (u.a. ex-Frank The Baptist, ex-Passion Play) an Gitarre und Keyboards, Gabriel Brero (La Fête Triste) am Bass und Sebastian Hilgetag (Nattaravnur) an den Drums mit „A Chasm Here And Now“ eines in aller Deutlichkeit: Songs dieser Güteklasse können unmöglich von Anfängern geschaffen werden. Was so gehaltvoll ist, so vielseitig und dennoch nie beliebig und dabei so wie selbstverständlich rund von der Hand zu gehen scheint, kann nur das Ergebnis reicher Erfahrung und langjähriger Hingabe sein. Die hochwertige Produktion in den Berliner Trixx-Studios ist dabei die technische Entsprechung der künstlerischen Oberliga, in der „A Chasm Here and Now“ spielt.
Denn neben dem reinen Hörgenuss bieten Justins unvergleichliche Lyrics in gewohnter Manier unprätentiösen Tiefgang, wie man ihn nur noch selten findet. Sie inspirieren in ihrer Gesamtheit genauso wie sie als in Einzeiler zerstückelte Aphorismen funktionieren („reality stayed when your reason abandoned“). So verkörpern WIRES & LIGHTS genau jene aufklärerische Botschaft, der sie ihren Namen verdanken: Es ist alles da; zugreifen müsst ihr selber. Und wer noch zweifelt, der höre den Abschluss des Albums: „Going, Going, Gone“, dieser meisterhaft geschliffene Edelstein von einem Song, mit seinem New Model Army-mässigen brodelndem Aufbau, seiner genetischen Verbundenheit mit Passion Plays „Running On Empty“ und seiner epischen Erlösung, wird künftig und für alle Zeit der Band-Klassiker sein, den immer alle hören wollen.
Gewöhnt euch besser dran!